Warum viele Renaturierungen von Gewässern ins Leere laufen
Trotz großer Anstrengungen verbessert sich der ökologische Zustand hessischer Gewässer oftmals nicht messbar. Eine aktuelle Studie der Goethe-Universität Frankfurt zeigt: Konventionell geklärtes Abwasser behindert auch in renaturierten Abschnitten die biologische Erholung massiv.
Studienziel: Wie wirken sich Kläranlagen auf renaturierte Gewässer aus?
Untersucht wurden vier typische Mittelgebirgsbäche in Hessen: Asphe, Bieber, Josbach und Würf. Sie alle verfügen über renaturierte Abschnitte und nehmen gereinigtes Abwasser aus konventionellen Kläranlagen mit drei Reinigungsstufen auf. Im Fokus stand die Veränderung der ökotoxikologischen Wirkung von Wasser und Sediment entlang der Fließstrecke – vor und nach dem Kläranlagenauslass.
Zum Einsatz kamen moderne, effektbasierte Methoden („Bioassays“), die toxische Wirkungen wie hormonelle Aktivität oder dioxinartige Effekte von Wasser und Sediment erfassen – ein Mehrwert gegenüber chemischen Analysen.
Vier Gründe, warum Renaturierungen ihre Wirkung verfehlen
- Struktur allein verbessert nicht die Biologie
Obwohl die Gewässer morphologisch deutlich aufgewertet wurden – z. B. durch Rückbau harter Ufer, eigendynamische Entwicklung und Auenanbindung – blieb die biologische Vielfalt weitgehend unverändert. Die Makroinvertebraten-Zusammensetzung in renaturierten Abschnitten unterschied sich kaum von jener in belasteten, unverbesserten Bereichen. - Abwasser enthält hormonell und toxisch wirksame Substanzen
Bioassays wiesen in Wasser- und Sedimentproben teils starke hormonelle und dioxinartige Wirkungen nach – nicht nur unterhalb, sondern teilweise auch oberhalb der Kläranlagenzuflüsse. Die toxischen Effekte blieben in einigen Fällen noch mehrere Kilometer flussabwärts messbar. - Kleine Bäche – große Wirkung
In Flüssen mit geringer Wasserführung machen die Kläranlagenzuflüsse bis zu 50 % der Gesamtwassermenge aus. Die dort eingetragenen Schadstoffe wirken deshalb besonders stark und anhaltend. - Sedimente als Langzeitspeicher für Schadstoffe
Auch die Fluss-Sedimente waren stark belastet – oft selbst an Referenzstellen oberhalb der Kläranlagen. Das deutet auf diffuse Einträge beispielsweise aus der Landwirtschaft hin. Sedimente speichern Schadstoffe langfristig und können diese bei Störungen erneut freisetzen.
Was die Ergebnisse für Hessen bedeuten
Die vier untersuchten Bäche sind repräsentativ für viele kleinere Fließgewässer in Hessen. Sie zeigen: Ohne wirksame Reduktion von Mikroschadstoffen bleibt selbst eine vorbildlich umgesetzte Renaturierung biologisch wirkungslos.
„Die Untersuchungen zeigen, dass selbst gut umgesetzte Strukturmaßnahmen kaum Wirkung entfalten, wenn die chemische Belastung bestehen bleibt“, erklärt Prof. Dr. Jörg Oehlmann, Sprecher des Kompetenzzentrum Wasser Hessen.
Drei Stellschrauben für erfolgreichen Gewässerschutz
Die Studie leitet konkrete Empfehlungen für die Wasserwirtschaft ab:
- Kläranlagen aufrüsten: Eine vierte Reinigungsstufe (Ozonung und/oder Aktivkohlefilter) ist nötig, um Mikroschadstoffe wirksam zu entfernen.
- Bioassays im Monitoring etablieren: Effektbasierte Methoden sollten systematisch in das behördliche Gewässermonitoring als Ergänzung der chemischen Analytik integriert werden.
- Ganzheitlich denken: Nachhaltige Verbesserungen sind möglich, wenn Renaturierung, Kläranlagentechnik und landwirtschaftliches Stoffstrommanagement zusammengedacht werden.
Fazit: Ohne sauberes Wasser keine lebendigen Flüsse
Die Ergebnisse liefern wichtige Impulse für die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Wer nur an der Gewässermorphologie arbeitet, greift zu kurz. Ein integrierter Ansatz, der auch die chemische Belastung entschärft, ist notwendig, um die ökologische Qualität hessischer Fließgewässer langfristig zu sichern.
Das Kompetenzzentrum Wasser Hessen will diesen Weg wissenschaftlich begleiten und praxisnah mitgestalten.
Die englische Originalpublikation Wastewater treatment plant effluents as an obstacle to the full recovery of restored river sections ist online zugänglich.
Beteiligte Institutionen:
Goethe-Universität Frankfurt am Main – Abteilung Aquatische Ökotoxikologie
Kompetenzzentrum Wasser Hessen
Goethe-Universität Frankfurt am Main – Abteilung für Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie