Die Nutzung erneuerbarer Wärmequellen rückt durch Klimaschutz und Energiesicherheit verstärkt in den Fokus. Die EU-Richtlinie 2018/2001 bezieht deshalb auch die bislang weitgehend ungenutzte Wärmeenergie aus dem Abwasser im Auslauf kommunaler Kläranlagen ein. Eine aktuelle Studie zeigt nun erstmals systematisch auf, welches Potenzial im hessischem Abwasser steckt.
Hintergrund und Zielsetzung
Abwasser aus kommunalen Kläranlagen weist selbst im Winter in der Regel Temperaturen von über 8 °C auf. Damit ist es besonders während der Heizperiode eine geeignete Wärmequelle für Wärmepumpenanwendungen. Dies ist für Städte und Gemeinden mit über 20.000 Einwohnern besonders interessant: Gesetzliche Vorgaben verpflichten sie zur kommunalen Wärmeplanung, in der erneuerbare Wärmequellen wie Abwasser systematisch zu prüfen sind (Hessischen Energiegesetzes (HEG, 2022) / Wärmeplanungsgesetzes des Bundes (WPG, 2023)).
Ein Forschungsteam der Universität Kassel entwickelte ein methodisches Verfahren zur landesweiten Erhebung des Wärmebereitstellungspotenzials aus Abwasser im Auslauf kommunaler Kläranlagen.
Methode und Datengrundlage
Vier Kläranlagen aus Mittel- und Nordhessen mit Ausbaugrößen zwischen 9.800 und 95.000 Einwohnerwerten dienten als Basis für die Entwicklung standardisierter Jahresganglinien für Temperatur und Trockenwetterabfluss. Entscheidende Auswahlkriterien waren ein hoher kommunaler Abwasseranteil und keine Wärmeversorgung über ein Fernwärmenetz.
Des Weiteren lagen für 445 der insgesamt 475 Kläranlagen in Hessen verlässliche Daten zur mittleren Jahresschmutzwassermenge (JSM) aus dem Leistungsnachweis des DWA-Landesverbands Mitte (2020–2022) vor. Durch statistische Analysen dieser Daten, ergänzt durch Zeitreihenanalysen, wurden Jahresprofile für Temperatur und Abflussverhalten abgeleitet. Standardisierte Temperatur- und Abflussfaktoren ermöglichen letztlich eine übertragbare Potenzialabschätzung für alle hessischen Kläranlagen ≥1.000 EW.
Zentrale Ergebnisse und Relevanz für Hessen
- Die Untersuchung zeigt, dass die saisonale Schwankung der Abwassertemperatur zuverlässig abgebildet werden kann.
- Der Trockenwetterabfluss hingegen ist stark standortspezifisch und wird maßgeblich durch den Fremdwasseranteil beeinflusst.
- Eine Potenzialabschätzung für Wärmenetzanwendungen ist temperaturseitig gut standardisierbar.
- Die ermittelten standardisierten Jahresganglinien ermöglichen eine effiziente landesweite Potenzialbewertung. Die Ermittlung des Abwasserwärmepotenzials unter Berücksichtigung der Angebotsseite ist ein erster Schritt zur Identifikation von Wärmenetzgebieten.
Die Ergebnisse der Studie zeigen praktikable Wege auf, wie kommunale Infrastrukturen zur Energiewende beitragen können – ohne zusätzliche Flächenversiegelung oder komplexe neue Erzeugungsanlagen. Die Studie liefert zudem ein konkretes Werkzeug zur Identifikation von Wärmequellen und zur wirtschaftlichen Bewertung von Abwasserwärmenutzung.
Das ermittelte Potenzial wurde in den „Wärmeatlas Hessen“ aufgenommen. Dieser dient Kommunen, Planern und politischen Entscheidungsträgern als zentrales Planungsinstrument, um geeignete Standorte für Wärmenetze und Großwärmepumpenanlagen zu identifizieren.
Ausblick
Das Forschungsteam um Prof. Dr. Tobias Morck – Mitglied im Direktorium des KWH und Sprecher der Arbeitsgruppe Verfahrenstechnik – wird den Einfluss von Fremdwasser in einer Folgestudie noch tiefergehend betrachten. Außerdem wird die Methodik zur Ermittlung des Abwasserwärmepotenzials auch auf Anlagen mit weniger als 9.500 EW ausgeweitet und im Wärmeatlas Hessen ergänzt.
Auszeichnung für praxisnahe Forschungsarbeit
Ein besonderer Erfolg ist zudem die Auszeichnung der Masterarbeit von Lukas Höft. Der Absolvent des Masterstudiengangs Umweltingenieurwesen an der Universität Kassel erhielt am 28. Januar 2025 den Förderpreis der nordhessischen Bauwirtschaft. Seine Arbeit zur „Abwasserwärmenutzung aus dem Auslauf von Kläranlagen – Bestimmung des Abwasserwärmepotenzials für Hessen“ wurde von Prof. Dr. Tobias Morck und Prof.in Dr. Ulrike Jordan betreut. Weitere Informationen sind im News-Beitrag „Masterarbeit zur Nutzung von Abwasserwärme ausgezeichnet“ zu finden.
Förderung
Die Untersuchungen zur Studie wurden im Rahmen der Potenzialstudie „Großwärmepumpen in hessischen Kläranlagen“ (KlärWP.Hessen) im Auftrag der LEA LandesEnergieAgentur Hessen GmbH durchgeführt.
Beteiligte Institutionen
Universität Kassel – Siedlungswasserwirtschaft
Universität Kassel – Solar und Anlagentechnik